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Sizilien: Das Land, wo Gott gute Laune hatte, als er es gewoben hat

Ich bin ein glücklicher Mensch, denn ich habe fünf sizilianische Freundinnen und ich darf sie alle besuchen und werde immer mit Liebe und Freude aufgenommen. Nur einen Nachteil gibt es: sie können alle viel besser Deutsch als ich Italienisch. Wenn ich noch radebreche, um einen Satz in italienischer Sprache zu sagen, hat eine meiner Freundinnen diesen schon in Deutsch gesagt. 

Ich erinnere mich an eine Reise mit dem VW-Bus nach Sizilien. Wir, mein verstorbener Mann und ich, fuhren einmal die rechte Seite des Stiefels hinunter und dann die andere Seite des Meeres wieder nach Hause. 

Mit einem VW-Bus aufzubrechen ist eine besondere Art des Reisens, denn er fährt höchstens hundert Stundenkilometer. Dem Berg hinauf fällt er meist auf sechzig Stundenkilometer zurück. Es gibt keine Hektik, wenn der Boxermotor vor sich hin brummt und mich meinen Gedanken nachhängen lässt. Dann tauche ich ein in Phantasie-Welten und male mir Geschichten aus, die ich vielleicht einmal erzählen werde. Oder ich schaue mir die sich immer verändernden Landschaften an und bin ganz in ihrem Anblick gefangen.

Den Brenner haben wir mittels Brennerstraße überquert, was für einen VW-Bus eine richtige Plage ist, und ohne Servolenkung manchmal ein ordentliches Stück Arbeit sein kann. Wir sind schon zwei Tage unterwegs unser erster Halt war Bozen, da kehren wir in einem Bozener Gasthof ein und essen zu Abend. Die Nacht verbringen wir dann auf dem Walterplatz in unserem Bus. Das ist schon ein richtiges Ritual, wenn wir nach Italien fahren. Mein Mann stellt die Esstischplatte quer auf die Lehnen der Vordersitze und so kann niemand von der Windschutzscheibe aus uns beim Schlafen zusehen. Vorhänge zum Zuziehen haben wir auch, in gelbgrünen Karos. Die ziehen wir zu und in Bozen lassen wir die Schiebetüre ein paar Millimeter auf, damit wir frische Luft bekommen. Im Grunde bin ich der Grund für das Offenlassen der Türe, denn wenn sie ganz geschlossen ist, bekomme ich Zustände. Aber das gibt sich nach ein paar Tagen wieder und dann kann ich auch bei geschlossener Türe schlafen. 

Am nächsten Morgen bekomme ich einen Cappuccino kredenzt und das ist für mich ein Tageshighlight. Eduard war schon beim Bäcker und hat auch noch Croissants dabei. So können wir Frühstücken, ohne alles Mögliche auspacken zu müssen und danach wieder zu verstauen. Ich putze mir die Zähne und mache heute einmal Katzenwäsche und dann brechen wir auf. Mein Ehemann sitzt noch gerne hinten im Bus und studiert Landkarten und manchmal findet er Abkürzungen, die landschaftlich sehr schön sind, aber doppelt so lange dauern als wenn wir auf der normalen Straße geblieben wären. Früh am Morgen fahre ich meistens die erste Strecke und genieße es, wenn ich in den Tag hineinfahre. Die Landschaft ist noch eingetaucht in blaues Licht und die Kühle der Nacht steigt langsam nach oben um der Sonne Platz zu machen. Jedes Mal erfreut diese Stimmung mein Herz. Hinter Bozen fangen die herrlichen Obstplantagen an. Äpfel so rot als würden sie extra für Schneewittchens hundertjährigen Schlaf bereitgestellt.

In diesem Jahr haben wir ausgemacht, dass wir die Küstenstraße fahren über Mailand, Florenz und runter bis Rom und wir wegen der Länge der Strecke keine Abstecher nach Siena oder sonstigen geschichtsträchtigen Städten machen. Im Stillen bin ich sehr gespannt was Eduard so alles beim Studium der Landkarten einfällt, welchen Weg er für noch schöner und besser finden wird. Ich fahre Autobahn und bin noch nicht am Abzweig zur Küstenstraße angekommen. So früh komme ich gut voran und verkneife mir die Frage: Wollen wir nicht am Gardasee einen Espresso trinken? Ich schaue hinüber – hier ginge es ab und wir wären doch ganz schnell wieder auf der Autobahn – aber ich unterdrücke meine Wehmut und fahre weiter. 

Richtung Mailand wird der Verkehr stärker und ich passe mich langsam der italienischen Fahrweise an. Schimpfe über Autos, die mich schneiden oder nicht überholen lassen, aber nur aus Spaß, denn meine sizilianischen Freundinnen können da schon vom Leder ziehen und ich muss dann immer lachen, wenn eine der Mädels „Stronzo“ oder sonstige Worte anderen Autofahrern hinterherruft. So richtig weiß ich gar nicht mehr was das Wort übersetzt heißt, aber ich habe in Erinnerung, dass es nicht gerade freundlich ist. 

Die Autobahn führt weiter in die Toskana. Ich fahre bereits viereinhalb Stunden und merke kurz vor Florenz, dass ich müde werde und eine Pause brauche. Eduard schaut von seinem Kartenstudium auf und ist bereit weiterzufahren. Am nächsten Parkplatz machen wie eine kurze Rast und tauschen die Plätze. Er hat Hoffnung, dass wir noch bis vor Rom kommen, bevor es dunkel wird. Wir singen die Lieder mit, die im Radio gespielt werden und freuen uns an der italienischen Landschaft und ermuntern uns gegenseitig, dass wir nächstes Jahr der Toskana einen Besuch abstatten und wir unserem Ziel Sizilien folgen.

Eduard schafft es tatsächlich bis kurz vor Rom und er fährt von der Autobahn herunter und sucht hinter einem Dorf auf einen Feldweg mit Einbuchtung einen passenden Ort für unseren Schlafplatz. Als der VW-Bus in der Waage steht genehmigen wir uns einen Absacker, natürlich ganz italienisch Secco. Ich stelle Pecorino, Salami und Speck aus Bozen mit einem Vinschgauer Brot auf den Tisch. Lange sitzen wir noch und schauen dem Sonnenuntergang zu. Im Bus ist es eine kleine Aktion das Bett herzurichten, dazu muss ich alles aufräumen und die Sitzbank umklappen, damit eine Liegefläche entsteht. Das Bettlaken über die Matratze ziehen, und die Betten sind Gott sei Dank schon überzogen, ausbreiten, Katzenwäsche und ins Bett fallen. Ich schlafe sofort ein.

Am nächsten Morgen beschließen wir, dass wir uns am Abend einen Campingplatz suchen oder uns in einem Hotel einbuchen, um wieder einmal gründlich zu duschen und Haare zu waschen. Es ist fünf Uhr früh und Eduard hofft, dass ich gut und schnell an Rom vorbei komme, ohne große Staus und Stop-and-Go-Verkehr. Ich mache mir da weniger Sorgen und denke in Italien ist zu dieser trostlosen Zeit sicher niemand unterwegs. Er verspricht mir, dass ich nach Rom meinen heißgeliebten Cappuccino bekomme, aber jetzt erst mal losfahren. Wir kommen gut an Rom vorbei und am nächsten Rasthof fahre ich heraus um endlich einen Kaffee zu trinken und mir ist es tatsächlich egal in welcher Form ich ihn bekomme, Hauptsache Koffein. Ich habe meinen Geldbeutel schon bereit um mein heißgeliebtes Getränk zu ordern, da fällt mir Eduard ein und ich frage über die Schulter:

„Willst du auch etwas?“

„Einen Espresso und ein Cornetto. Ich setze mich schon mal“, ruft er mir zu.

Als ich mit meinem Tablett an den Tisch ankomme, sind wir noch die einzigen Gäste. Aber das ändert sich sehr schnell. Also drängt Eduard zum Aufbruch.

Ich maule: „Ich habe Urlaub und mag mich treiben lassen!“

„Du hast ja recht, wenn wir erst in Sizilien sind versichere ich dir, dass du ausschlafen kannst und ich dir jeden Morgen Kaffee koche.“

Diese Aussicht lässt mich aufstehen und zum Auto eilen um weiterfahren.

Die Strecke wird immer idyllischer und als Eduard mir vorliest, dass wir in ein paar Stunden an Capri vorbeikommen, da ist meine Frage:

„Das Capri das besungen wird in einem Lied?“

„Genau dieses Capri“, und er fängt zu singen an mit seinem schönen Bariton und ich stimme leise mit ein. Am liebsten würde ich einen Abstecher nach Capri machen verwerfe den Gedanken gleich wieder und fahre weiter. Langsam wird es warm richtig warm der VW-Bus hat keine Klimaanlage und das schwarze Lenkrad wird fast heiß, die Lüftung schafft es kaum, uns ein wenig frischere Luft zuzupusten. Jetzt an einem blauen Strand zu liegen und mich im Wasser abkühlen zu können ist ein Wunsch, der immer größer wird und ich sage es Eduard. Ich sehe wie er sich über die Karte beugt und seine Uhr anschaut und er unterbreitet mir folgenden Vorschlag:

„Wenn du heute noch einmal ohne Dusche auskommen könntest, dann würden wir an der Amalfi-Küste Station machen. Wir sind gut in der Zeit und könnten uns diesen halben Urlaubstag gönnen.“

Ich bin sofort damit einverstanden und freue mich auf ein kühles Bad im Meer.

Er fragt mich: „Soll ich weiterfahren?“

Ich stimme zu und lege mich auf die Rückbank des Busses, um noch ein wenig zu schlafen. 

Als Eduard mich mit den Worten: „Wir sind da“, weckt, kann ich es fast nicht glauben. Wir stehen im Sand und vor uns das Meer. „Also du kannst schwimmen gehen, wenn du willst. Ich stelle das Auto noch in die Waage, damit der Kühlschrank auch kühlt.“

Meinen Badeanzug habe ich schon vorher zurechtgelegt, ich ziehe ihn an und steige aus dem Auto und versuche über den heißen Sand zu balancieren ohne Brandblasen zu bekommen. Das Wasser ist angenehm, ich schwimme und alle Last fällt von mir ab, es gibt nur noch Sonne, Sand und Meer. Erfrischt und belebt steige ich aus dem Wasser und gehe ein Stück am Strand entlang und sammle Muscheln und kehre um, als ich ziemlich getrocknet bin. Ich werde mit einem Glas Rotwein und einem kleinen Imbiss empfangen. Jetzt kommt es in mir an: Urlaub, Ruhe und Erholung. Voller Genuss trinke ich einen Schluck Rotwein, der Snack stärkt mich, wir unterhalten uns noch eine Zeitlang, dann koche ich mir heißes Wasser und wasche das Salz von meinem Körper und den Haaren.  Da ich viel kleiner bin als Eduard, habe ich die Aufgabe übernommen, unser Bett jeden Abend zu richten und am Morgen wieder zu verstauen. Ich bereite es schon einmal vor. Der Sternenhimmel ist so verlockend und die Sommernacht so lau, dass ich mich doch noch zu Eduard geselle und wir uns weiter unterhalten. Mein „Routenplaner“ beschließt nach circa einer halben Stunde, dass wir jetzt ins Bett müssen, da wir morgen Früh beizeiten aufstehen um weiterzufahren, es sind noch über fünfhundert Kilometer bis Messina. 

Ich erwache durch ein Klappern und Rumoren, ziehe mir die Bettdecke über den Kopf und versuche weiter zu schlafen. Da zieht ein feiner Kaffeeduft durch den Raum und verführt mich, meine Augen zu öffnen. Ich versuche sogar einigermaßen freundlich „Guten Morgen“ zu sagen, als ich einen Becher Kaffee nach hinten gereicht bekomme und im Bett Kaffee zu trinken. Frühstück im Bett ist ein wunderbarer Zustand, ich genieße ihn und stehe dann ohne zu murren auf, ziehe mich an und räume alle herumliegenden Gegenstände weg, damit nichts klappert oder beim Fahren durch die Gegend fliegt, setze mich ans Steuer, stecke den Schlüssel ins Schloss, lege den ersten Gang ein und will losfahren. Es ist, als sei eine Barriere vor mir. Ich gebe mehr Gas, die Räder drehen durch. Eduard ruft von hinten

„Stopp, sonst gräbst du dich noch tiefer in den Sand!“

Er steigt aus begutachtet die Lage und meint:

„Wir brauchen ein Brett damit wir loskommen:“

„Woher sollen wir jetzt ein Brett nehmen?“ antworte ich.

„Lass mich überlegen: Was könnte uns als Brett dienen? Ich gehe am Strand entlang, ob ich etwas Passendes finde.“

Ohne ein weiteres Wort läuft er los. Ich setze mich wieder auf den Fahrersitz und schaue vor mir auf das Meer, die Wellen sind wie ein Säuseln im Wind, der Sand, in dem ich mich eingegraben habe, liegt still da. Mein Blick fällt auf einen Gegenstand, der aussieht wie ein Brett. Ich hole es her und suche Eduard am Strand. Er kommt mit zurück und ist hocherfreut, als er das gefundene Ding sieht. Er legt es unter die Reifen und sagt:

„Lass mich ans Steuer, ich glaube, dass ich die Situation besser einschätzen kann als du.“

Gerne überlasse ich ihm den Platz am Steuer. Tatsächlich schafft er es mit vorsichtigem Vor-und-zurückfahren, uns aus dem Reifengefängnis zu befreien. Nach ein paar Metern bleibt er stehen und steigt aus, um das Brett mit den Worten zu holen:

„Das kann uns noch gute Dienste leisten.“

Eduard fährt weiter und ich sitze neben ihn und schaue mir diese bizarre und doch malerische Landschaft, an döse vor mich hin und bin einfach froh, dass wir so viel Glück hatten und nicht erst im nächsten Dorf Hilfe holen mussten.

Zum Tanken fahren wir von der Autobahn, ich vertrete mir die Füße ein wenig und gehe auf die Toilette, dazu muss ich durch einen Supermarkt und die haben ein Lavazza-Café. Voller Freude hole ich mir einen Cappuccino und bringe Eduard einen Espresso mit. Er trinkt und sagt zu mir:

„Du Schatz in zwei Stunden sind wir in Sizilien, wenn eine Fähre bereitsteht.“

„Wie schön“, antworte ich, „dann können wir endlich unseren Urlaub richtig beginnen.“ Er nimmt mich in den Arm steigt ein und fährt weiter.

Da wir keine Fähre im Voraus gebucht haben gehe ich ins Büro des Fährbetreibers kaufe ein Ticket für unser Auto und zwei Personen und erfahre, dass in einer halben Stunde unsere Fähre an der Anlegestelle 296 losfährt. Wir suchen die Abfahrtstelle und setzten uns hinten in unserem Bus und lesen bis es so weit ist, um auf die Fähre zu fahren. Die Prise bei der Überfahrt tut gut, denn es wird wieder sehr heiß und so haben wir noch Kühle.


Bald folgt die Ankunft in Sizilien …