Als mir meine Tochter erzählt, dass ich Großmutter werden würde, bin ich total überrascht und kann meine Empfindungen kaum in Worte fassen. Ich weiß im ersten Moment gar nicht, ob ich vor Freude lachen oder weinen soll. Ich bin viel tiefer berührt, als ich mir das vorher hatte vorstellen können. Zu dem Zeitpunkt habe ich damit überhaupt nicht gerechnet. Sie ist zwar seit einem halben Jahr verheiratet, aber es erstaunt mich trotzdem, da beide noch so viele andere Pläne hatten.
Was für ein Wunder. Wir bekommen ein Enkelkind. Ich liebe das Kind in ihrem Bauch von Anfang an. Meine Tochter lässt mich an ihrer Schwangerschaft teilhaben und manchmal fühlt es sich an, als würde ich zusehen können, wie langsam neues Leben entsteht. Während dieser Zeit kommt mir oft der Gedanke, dass nun auch für mich eine neue Zeit anbricht und ich auf der Lebensleiter ein Stück weiter wandern werde. Schon mit der Beendigung meines Berufsweges und damit der Eintritt in den Ruhestand, wurde mir das erste Mal sehr bewusst nicht mehr zu den Menschen in der Lebensmitte zu gehören. Aber mit dem Titel „Oma“ bekommt das Thema Alter noch einmal einen ganz anderen Geschmack, den ich durchaus bereit bin zuzulassen. Die übernächste Generation macht sich auf den Weg und ich bin sehr gespannt was nun Neues auf mich zukommen wird.
Die Vorfreude ist groß und ich ertappe mich dabei, wie ich in den Geschäften um Babyklamotten herumschleiche und mich Rasseln und sonstige erste Spielsachen für Neugeborene begeistern. Ich kaufe erste Babysocken, selber stricken kann ich nicht, und bereits im fünften Monat der Schwangerschaft meiner Tochter ein teures Naturfell, denn das Kleine soll es ja schön warm haben, wenn es auf die Welt kommt. Zu meinem Erstaunen bemerke ich: Der Nestbautrieb schlägt de facto auch bei werdenden Omas zu. Ich überrede meinen Mann, denn er ist als Opa ja ebenfalls beteiligt, wenn auch noch nicht so enthusiastisch wie ich, den Kinderwagen zu spendieren. Die werdenden Eltern nehmen gerne an und wir gehen gemeinsam in ein Kinderwarengeschäft. Bei den Preisen für diese Gerätschaften werde ich spontan abwechselnd rot und dann wieder blass. Es wäre klug gewesen, sich darüber im Vorfeld kundig zu machen. Aber gesagt – getan. Ist ja unser erstes Enkelkind, sagt mein Mann.
Punktgenau zum errechneten Termin kommt der Kleine auf die Welt. Mein Schiegersohn ruft mich morgens gegen fünf Uhr an und übermittelt uns die freudige Nachricht. Ein Glücksmoment. Nun erfahren wir auch seinen Namen, der bis dahin geheim gehalten wurde, und sind sehr froh, dass alles gut gegangen ist. Es ist immer etwas ganz besonderes, wenn ein neuer Erdenbürger auf die Welt kommt. Wir heißen ihn mit all unseren guten Wünschen willkommen und können es kaum erwarten, den Kleinen zu sehen. Die frisch gebackenen Eltern wünschen sich die ersten zwei Wochen allerdings Dreisamkeit mit dem neuen Familienmitglied und wir müssen uns noch ein wenig in Geduld üben. Vorerst dürfen wir uns mit Fotos und kleinen Videos begnügen, die ich mir nicht nur einmal anschaue.
Es ist schon ein magischer Moment, als mir meine Tochter ihren Sohn das erste Mal in die Arme legt. Ich bestaune ihn von allen Seiten, beschnüffle ihn, genieße diesen einzigartigen Geruch, den nur Babys haben, streichle ihn und nehme ihn mit all meinen Sinnen in mich auf. Meinen Enkel. Es hat fast etwas archaisches , wie ich ihn begrüße. Es liegt ein Frieden über diesem Moment. Als ich ihn meinem Mann übergebe erfahren wir eine neue Verbundenheit zwischen uns und mit diesem neuen Erdenmenschen, den es ohne uns nicht geben würde. Jetzt, und erst jetzt, sind wir Großeltern. Erst mit dem haptischen Erleben taucht es tief ein in unser Bewusstsein. Ein Dauerlächeln ist uns ins Gesicht gemeißelt. Keiner von uns kann den Blick von diesem kleinen Bündel wenden. Abends plagt ihn oft eine Anpassungsstörung , früher nannte man das Drei-Monats-Kolik, und Opa und ich versuchen die Nerven der Eltern etwas zu entlasten und sind stolz und glücklich, wenn wir den Kleinen beruhigen können und er in unseren Armen einschläft. Irgendwie haben wir als Großeltern doch ein wenig mehr Abstand und gehen etwas gelassener mit dem winzigen Schreihals um. Wir haben ihn ja auch nicht Tag und Nacht um uns. Eine weiteres Kapitel in unserem Leben beginnt.
Unsere Tochter, und natürlich auch unser Schwiegersohn, lassen uns teilhaben an den ersten Monaten und Jahren im Leben unseres Enkels und so können wir unser Großelterndasein in vollen Zügen ausleben und genießen. Es bereitet mir große Freude jedes Mal ein Zimmer herzurichten, wenn meine Tochter aus dem entfernten Heidelberg zu uns kommt. Mein Schreibtisch wird leer geräumt und zu einen Wickeltisch umfunktioniert. Ein Reisebettchen wird aufgestellt, mit Kuscheltieren gemütlich hergerichtet und auf den Flohmärkten besorge ich eine Wippe, Krabbeldecke und Babyspielzeug.
Es ist ein unglaublich schönes Erlebnis noch einmal mitzuerleben, wie neues Leben entsteht, sich entwickelt, entfaltet und reift. Das erste Lachen, die ersten Brabbellaute, das erste Wahrnehmen und Erkennen der Umwelt und damit auch uns. Immer mehr erobert dieses kleine Wesen die Welt. Wie er krabbelnd seine Umgebung erkundet und später so stolz ist, als er das erste Mal bemerkt, wie er aufrecht auf seinen zwei Beinchen stehen kann. Staunend dürfen wir wieder einmal zusehen, wie ein Kind sich seiner selbst bewusst wird und sein Wille sich formt. Ganz anders und viel entspannter als bei unseren Töchtern. Es ist ein immenser Unterschied, ob wir alleine die Verantwortung für jemand anderen tragen oder ob wir diese teilen können.
Anfangs bin ich es, die Oma, die sich intensiv mit ihm beschäftigt, mit ihm Bilderbücher anschaut, ihm vorsingt und mit ihm spielt. Aber auch die Natur versuche ich ihm näher zu bringen, lasse ihn im Frühjahr Blätter, Sträucher und Bäume erfühlen. Er beobachtet viel und manchmal merke ich, wie es in dem Köpfchen rattert. Es entsteht langsam eine innige Verbindung auch von ihm zu mir. Er freut sich jeden Morgen, mich zu sehen und in den ersten Stunden des Tages, in denen er besonders rege ist, nehme ich mir Zeit, mich mit ihm zu beschäftigen. Ich nenne es quality time. So ungefähr mit dem ersten Lebensjahr kommt der Opa mehr mit ins Geschehen. Mit Freude beobachte ich, wie mein Mann seinem Enkel den Mond am Abendhimmel zeigt und ihm von der Welt und den Gestirnen erzählt. Fasziniert hört er zu und bringt seitdem den Opa immer mit dem Mond und den Sternen in Verbindung.



Mit dem zweiten Lebensjahr nimmt die Erziehung langsam Fahrt auf. Das ist ein Lernprozess. Auch für mich! Da muss ich gehörig umdenken. Meine Tochter und ihr Mann haben ihre ganz eigenen Vorstellungen, wie wahrscheinlich alle Generationen neue Erkenntnisse haben und andere Methoden bevorzugen. Ich lerne meine Meinung hinten anzustellen, die Klappe zu halten und das zu tun, was die Eltern zum Wohle der Entwicklung ihres Sprösslings vorgesehen haben. Mit der Zeit nehmen wir uns, immer angelehnt an den Wünschen der Eltern, doch etwas heraus, das nur wir mit ihm haben, das bei uns erlaubt ist. Ich bin der Meinung, Großeltern dürfen das in einem gewissen Rahmen.
Nun ist er bereits im dritten Lebensjahr und ich freue mich immer sehr, wenn wir zwischen unseren gegenseitigen Besuchen manchmal einen Video-Call miteinander haben. Neulich hat er gesagt: „Oma Nette Bild schicken.“ Er meinte ein Foto von ihm für Oma Anette. Das hat mich sehr gerührt. Bei unserem letzten Besuch bei ihm haben wir bemerkt, wie wichtig wir für ihn sind. Er wollte uns alles zeigen, was seine kleine Welt ausmacht und Oma und Opa mussten überall dabei sein.
Es ist für mich immer wieder ein Wunder zu sehen, wie unvoreingenommen, wie unbefangen, wie authentisch und völlig selbstverständlich, vorurteilsfrei und voller Neugier kleine Kinder auf alles in der Welt zugehen und auf sie reagieren. Können wir davon wieder etwas erlernen oder sind wir schon zu „verbraucht“? Es macht mir Freude, diese Urkraft, das Unverdorbene zu spüren und mich darauf einzulassen.
Ich bemerke jetzt im Alter, dass nichts in meinem Leben mich so geprägt hat wie meine Zeit, während ich mit dem Aufwachsen und der Erziehung meiner Kinder beschäftigt war. Und jetzt darf ich das alles noch einmal erleben, nur aus einer ganz anderen Perspektive. Mir wird aber auch bewusst, dass ich nun wieder mit Verantwortung trage für die kommende Generation.
Natürlich frage ich mich, was wird auf diese Generation zukommen, egal ob im Bereich Wohlstand, Krieg und Frieden oder vor allem im Hinblick auf die Klimakrise. Aber ich gehöre zu der Fraktion Hoffnung. Hoffnung für das Klima, für die Welt und für die nächsten Generationen. Dazu können auch wir als Großeltern unseren Beitrag leisten.